DIE ZWINGENDE ZEITERFASSUNG

Okt. 2022

Ausgangslage
Mit Urteil vom 13.09.2022 setzte das BAG neue Maßstäbe hinsichtlich der Zeiterfassung in Arbeitsverhältnissen. In Deutschland bestehen verschiedene Modelle der wöchentlichen Arbeitszeit, wie etwa die Gleitzeit oder Schichtarbeit. Regelmäßig werden hierbei Arbeitszeiten zuverlässig erfasst, sowohl im Interesse des Arbeitgebers als auch des Arbeitnehmers.
Jedenfalls die bisher teilweise herangezogene Vertrauensarbeitszeit gehört spätestens seit dem aktuellen BAG-Urteil vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21 der Vergangenheit an. Angekündigt hat sich diese Entwicklung zwar bereits mit der Entscheidung des EuGH vom 14.05.2019 – C 55/18. Nachdem das BAG aber eigentlich nur über das Initiativrecht des Betriebsrates zur Einführung eines Zeiterfassungssystems zu entscheiden hatte, war die ausgelöste Tragweite der Entscheidung jedoch nicht absehbar.
Der EuGH verankerte mit seiner Entscheidung vom 14.05.2019, dass die Art. 3, 5 und 6 der RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung im Licht von Art. 31 II GRCh sowie von Art. 4 I, Art. 11 III und Art. 16 III der RL 89/391/EWG des Rates vom 12.06.1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit dahin auszulegen sind, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die nach ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte die Arbeitgeber nicht verpflichtet, ein System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.

Entscheidungsinhalt
Das BAG stellte fest, dass ein Initiativrecht des Betriebsrates ausscheiden muss. Zurückzuführen sei dies auf die ohnehin bestehende Pflicht des Arbeitgebers, entsprechend den Vorgaben des EuGH, ein System einzurichten und zu betreiben, mit dem die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zuverlässig erfasst werden. Das Initiativrecht scheide jedenfalls dort aus, wo das Gesetz bereits eine abschließende Regelung beinhaltet. Diese Regelung finde sich laut der Entscheidung des BAG nunmehr in § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG.

Einschlag auf die Praxis der Arbeitswelt
Nachdem der Gesetzgeber seit dem Urteil des EuGH vom 14.05.2019 untätig geblieben ist, hat das BAG die Angelegenheit letztlich selbst in die Hand genommen und damit umgesetzt, was seit dem Stechuhr-Urteil längst überfällig war. Somit steht fest, dass die gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers besteht, ein System einzurichten und zu unterhalten, das die Zeiterfassung zuverlässig und objektiv ermöglicht. Arbeitgeber, die ein solches System also bisher nicht betreiben, verhalten sich gesetzeswidrig. Entsprechend ist der bestehende Betriebsrat nach § 89 Abs. 1 BetrVG verpflichtet, die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden durch Anregung, Beratung und Auskunft zu unterstützen. Die zuständige Behörde ist folglich zur Anordnung berechtigt und die Bußgeld- und Strafvorschriften der §§ 25, 26 ArbSchG rücken weiter in den Vordergrund. Der Betriebsrat verliert insoweit auch sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 BetrVG, wenn ein Verwaltungsakt den Arbeitgeber zur Vornahme oder Unterlassung einer bestimmten Maßnahme verpflichtet.

Hinweise für die Praxis
Nachdem das BAG die Politik mit diesem Einschlag wachgerüttelt hat, kommt diese langsam in die Gänge. Bereits erste Ankündigungen zu einer für alle Seiten angemessenen Lösung ließen sich vernehmen. Bis diese Lösung den Weg in die Gesetze findet, sind Arbeitgeber allerdings weiterhin zur Einführung und Unterhaltung eines allumfassenden Zeiterfassungssystems verpflichtet. Es ist also schnelles Tätigwerden anzuraten.

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