Datenschutz im Beschäftigungsverhältnis: Wenn sich der Sachverhalt gleich auf mehreren Rechtsebenen abspielt…

Sep. 2023

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 29. 06.2023, Az.: 2 AZR 296/22 führt deutlich vor Augen, wie kurz die Strecke zwischen Arbeitsrecht und Datenschutz tatsächlich sein kann.

 

Datenschutz bei Videoüberwachung

Gerade das Thema Videoüberwachung ist oftmals – auch mangels einholbarer Einwilligung – ein abwägungsintensives, heißes Datenschutzthema. Nochmal kurz zusammenfassend:

Die Verarbeitung personenbezogener Daten ist stets zweckgebunden und steht unter einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. In der Praxis läuft dies oftmals auf das Einholen der Einwilligung heraus. Soweit diese – wie so oft bei der Videoüberwachung – nicht umsetzbar oder sinnvoll ist, kommt es auf das Vorliegen berechtigter Interessen an. Diese müssen im konkreten Einzelfall gewichtiger sein als die Interessen und Rechte des Betroffenen. Dies ist im Zweifel durch umfassende und zu dokumentierende Abwägung zu ermitteln.

 

Beschäftigtendatenschutz

Soweit schon bekannt? Dann wird es spätestens ab jetzt spannend: Hat man es jedoch mit personenbezogenen Daten von Arbeitnehmern zu tun, sollte stets auch der Beschäftigtendatenschutz im Blick behalten werden, um im wahrsten Sinne des Wortes teure Fehler zu vermeiden.

Wie? Ein gesonderter Datenschutz nur für Beschäftigte? Ganz genau, Art. 88 DSGVO und § 26 BDSG sei der Dank geschuldet. Der Beschäftigtendatenschutz – der Beschäftigte ist dabei im nahezu weitestmöglich denkbaren Sinne zu verstehen – folgt in Deutschland mit expliziter Billigung des europäischen Gesetzgebers etwas eigenen Spielregeln:

Zunächst: Zur Datenverarbeitungslegitimierung kann ein Beschäftigter nach wie vor in diese schlichtweg einwilligen. Der Bewertungsmaßstab, ob er jedoch „freiwillig“ eingewilligt hat, ist strenger. So wird berücksichtigt, wie ausgeprägt das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Beschäftigten und Arbeitgeber ausfällt, ob eine Drucksituation zur Einwilligung für den Beschäftigten vorgelegen hat oder auch ob der Beschäftigte selbst einen Nutzen aus der arbeitgeberseitigen Datenverarbeitung zieht.

Eine Einwilligung, welche als nicht freiwillig erteilt zu bewerten wäre, wäre unwirksam und damit der das Aus für die auf Grundlage der Einwilligung legitimierte Datenverarbeitung – mit allen denkbaren Konsequenzen in Form von Bußgeld, Schadensersatz oder Reputationsverlust.

Andernfalls kann sich die Rechtmäßigkeit der beschäftigungsbezogenen Verarbeitung personenbezogener Daten der Beschäftigten danach bestimmen, ob die Verarbeitung für die Begründung (bzw. die Entscheidung hierüber), Durchführung oder Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses bzw. zur Ausübung/Erfüllung durch Kollektivvereinbarung statuierter Rechte und Pflichten der Interessenvertretung der Beschäftigten erforderlich ist.

„Erforderlichkeit“ – das signalisiert dem Juristen, dass nicht nur eine Interessenabwägung, sondern eine komplette Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen und zu dokumentieren ist. Heißt: Die Datenverarbeitung erfolgt zu einem legitimen Zweck und ist zunächst grundsätzlich überhaupt geeignet, diesen Zweck zu erreichen bzw. mindestens zu fördern, wobei die Art der Datenverarbeitung unter ebenso effizienten Arten die mildeste Variante ist und der verfolgte Zweck entgegenstehende Interessen und Rechtsgüter der Betroffenen überragt bzw. nicht über Gebühr beansprucht.

 

Abstrakt? Ohne Frage, deshalb gerne nochmal am Beispiel Videoüberwachung:

Ein Arbeitgeber baut in der Beschäftigtenumkleide eine den Umkleidebereich aufzeichnende Videokamera auf, selbstverständlich unter Einhaltung sämtlicher Informationspflichten dank Anbringung eines gut sichtbaren Schilds.

Hat er dies getan, um die durchschnittliche Anzahl der Muttermale seiner Beschäftigten zählen zu können, so fehlt es bereits an einem legitimen Zweck, mit Bezug zum Beschäftigungsverhältnis. Möchte der Arbeitgeber aufgrund der bestehenden Gefahr von Eigentumsdelikten im Rahmen seiner arbeitgeberischen Sorgfaltspflicht das in die Betriebsstätte mitgeführte Eigentum seiner Beschäftigten schützen, wäre die Videoüberwachung zwar noch nicht allein deshalb rechtens, jedoch bestünde ein legitimer Zweck mit Bezug zum Beschäftigungsverhältnis.

Ist eine aufzeichnende Videokamera geeignet das Eigentum der Beschäftigten zu schützen? Ohne Frage, bereits die Anwesenheit einer Überwachungskamera kann abschreckend wirken, eine tatsächlich aufzeichnende Kamera könnte sogar tatsächlich begangene Delikte aufzeichnen.

Ist die Überwachungskamera in der Umkleide das mildeste Mittel unter Mitteln gleicher Effizienz? Nun, ohne in eine kreative technisch-organisatorische Diskussion überzugehen, dürfte sich die Videokamera als beweisfestes, wiedergabefähiges Überwachungsinstrument und gemessen an ihrer Überwachungseffizienz noch unter größter Anstrengung an die einsame Spitze und damit – ggf. unter Nutzung einiger „Privacy-Einstellung“ – zum mildesten Mittel diskutieren lassen.

Überragt der Schutz des eingebrachten Beschäftigteneigentums – es handelt sich hier bekanntlich eher seltener um einen Goldbarren o.ä. – deren Interessen, ihre nackten Körper ggf. nicht für zur möglichen Ansicht durch fremde Dritte aufzeichnen zu lassen, oder die grundrechtlich verbriefte Rechte der Beschäftigten auf Intimsphäre? Um der aufgestauten Empörung nunmehr Abhilfe zu leisten: Nein, spätestens an dieser Stelle dürfte nahezu jedem die Unverhältnismäßigkeit offenbar werden, dass der Zweck hier nicht die Mittel heiligt und es sich bei der Aufzeichnung der Beschäftigten mittels Überwachungskamera um eine illegale Datenverarbeitung handelt.

An dieser Stelle auch nochmal eine ganz klare Warnung: Aus dem Bundesarbeitsgerichtsurteil sollte aus gegebenem Anlass nicht der falsche Rückschluss gezogen werden, dass datenschutzrechtlich fragwürdig – oder gar datenschutzwiderrechtlich – erlangte Sachverhalte oder Beweismittel grundsätzlich verwertbar sind. Vielmehr existiert ein solcher absoluter Automatismus weder in die eine noch in die andere Richtung. Innerhalb eines gewissen Graubereichs sind daher gleichsam datenschutzrechtliche „Unsauberkeiten“ für den Vortrag und Beweisantritt in einer gerichtlichen Auseinandersetzung nicht zwingend schädlich.

Ungeachtet der Frage nach der Verwertbarkeit oder Unverwertbarkeit des zutage geförderten Sachverhalts bleibt auch stets zu bedenken: Datenschutzrechtlich fragwürdige Vorgänge können als Bezugspunkt eines Schadensersatzanspruchs dienen oder – im Ergebnis noch schlimmer – die Datenschutzaufsichtsbehörden auf den Plan rufen, welche berechtigt sind, saftige Bußgelder zu verhängen. Insofern bleibt der Datenschutz für Arbeitgeber weiterhin maßgeblich ein essentielles Eigeninteresse und sollte daher nur im Ausnahmefall einen prozesstaktischen Abwägungsgrund darstellen.

 

Mitbestimmung durch Betriebs- oder Personalrat

Abschließend interessant für all jene Arbeitgeber, welche mit Betriebsrat bzw. Personalrat über eine Interessenvertretung der Beschäftigten verfügen: Eine rechtmäßige Verarbeitung personenbezogener Daten der Beschäftigten kann auf Grundlage einer Kollektivvereinbarungen mit dem Betriebs- bzw. Personalrat erfolgen. Ehe jedoch in freudiger Erleichterung hierüber Vorsicht und Augenmaß komplett über Bord geworfen werden, ergeht der Hinweis, dass mit Blick auf obige Ausführungen letztlich konsequente Einschränkungen diesbezüglich bestehen. Kollektivvereinbarungen, welche faktisch Menschenwürde und Grundrechte, aber auch grundsätzliche datenschutzrechtliche Interessen der Beschäftigten ausverkaufen, sind wenig überraschend unwirksam.

 Apropos Mitbestimmung: Die Regelungen des Beschäftigtendatenschutzes hebeln keine Mitbestimmungsrechte aus. Das Beispiel der Videoüberwachung von Beschäftigten nochmals heranziehend, wird auch die größtmögliche Datenschutzkonformität der Videoüberwachung keine Legitimität verschaffen, sofern ihr der Betriebsrat nicht zugestimmt hat.. Die Verarbeitung personenbezogener Daten in Beschäftigungsverhältnissen sollte daher auch stets von kollektivrechtlicher Seite betrachtet werden.

 

Empfehlung

Alles recht kompliziert? Betrifft eine Ihrer eingeführten und geplanten Maßnahmen überhaupt den Beschäftigtendatenschutz und falls ja, wie bekommt man diese Maßnahmen im Vorfeld oder auch Nachhinein legitimiert? Oder benötigen Sie bei rechtlicher Abwägung oder der Verhältnismäßigkeitsprüfung Hilfe?

Dann wenden Sie sich gerne an das multidisziplinäre Expertenteam von up rechtsanwälte, um sich frühzeitig auch im Datenschutz auf die sichere Seite zu stellen.

 

 

 

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